(Bericht von Anita)
Letztes Jahr (2019) haben über 70 Läuferinnen und Läufer am Stadtlauftraining teilgenommen. Darunter Hervé Laville, ein LSVB Neumitglied, der unserem Verein am 24. Oktober 2019 beigetreten ist. Mit seiner Arbeitskollegin Andrea hat er sich in der Gruppe 4 für den Basler Stadtlauf vorbereitet. Die Gruppe 4 peilt am Stadtlauf eine Zielzeit von 29 – 31 Minuten an und trainiert mit einer Pace von 5.45 – 6.30 min/km. So hat Hervé das 7-Wochen-Vorbereitungstraining absolviert. Am Tag des Showdowns „Basler Stadtlauf 2019“ drückte er jedoch eine Pace von 3.25 ab und erreichte die Zielzeit von 18.43 Minuten. Wow, das liess mich als Gruppe 4 Läuferin zum ersten Mal richtig leer schlucken. Das zweite Mal schluckte ich leer, als ich seinen Eintrag zum OneMillionRun vom Wochenende 30. / 31. Mai 2020 gelesen habe.

In knapp 46 Stunden ist er 211.3 Kilometer gelaufen, beginnend mit 116 Kilometern am Samstag, die er auf dem Heimweg von Basel, wo er als Koch in einem Wohnhaus von Cerebral arbeitet, nach Münsingen, wo er aufgewachsen ist und sein Elternhaus steht, gelaufen ist. Nach gut acht Stunden Schlaf, bei laufender Zeit aber stillliegenden Kilometern, setzte er die Route fort, so quasi 40 Kilometer nach dem Frühstück, 10 Kilometer nach dem Mittagessen und zum Tagesausklang nochmals 45 Kilometer.
Nimmt mich echt wunder, welche Kraftnahrung sein Mami in die Nahrung mischt. Fragt man Hervé den Langstreckenläufer und professionellen Koch selbst nach seinem Geheimrezept, antwortet er mit einer läuferischen Binsenwahrheit, nämlich Teigwaren mit Tomatensauce und vor dem Lauf ein Appenzeller Biberli. Tja, rein Koch-technisch müsste das wohl jede/r hinkriegen.

Auf die Frage, wie Hervé zum Laufsport gekommen ist, meint er, dass er seit der 1. Klasse und während seiner ganzen Schulzeit am Münsinger Louf und auch am GP Bern teilgenommen hat. An den beiden jährlich wiederholenden Laufsportveranstaltungen war die ganze Familie entweder beim Helfen, Mitlaufen oder Zuschauen involviert. Hiesige Laufveranstaltungen mit Kinderkategorien findet Hervé am wichtigsten, um Leute für den Laufsport gewinnen zu können. Ich sage, Prost auf unsere Binggis-Kategorie am Basler Stadtlauf. Hier werden Talente geboren. 🙂
Doch, wie kommt Hervé in so jungen Jahren von den (kürzeren) Langstreckenläufen wie dem Münsinger Louf mit 5.2 oder 10 Kilometern zu den Langen oder gar Ultralangstrecken? Das begann beim Kidsrun am Bieler Hunderter im Jahr 2011. Da lag eine magische Stimmung in der Luft und so beschloss der damals 15-Jährige, auch einmal bei den Grossen mitzulaufen. Nur ein Jahr später, als Hervé in der 9. Klasse eine Semesterarbeit schreiben musste, wählte er die Selbsterfahrung am Bieler Hunderter. Das Buch “Bis ans Limit und darüber hinaus, Faszination Extremsport” hat ihn dazu angestossen. Die Idee war geboren, aber das Geld für den Startplatz fehlte. Der Schüler musste ihn vom eigenen Sackgeld berappen. Sparschwein metzgen reichte nicht aus. Er musste seine im April geschenkt erhaltenen Schokoladeosterhasen verkaufen. Sein Bruder, der bereits über Lehrlingslohn verfügte, ist ihm in die Bresche gesprungen. Den letzten fehlenden Fünfliber hat ihm seine Laufgruppe beigesteuert. Am 8./9. Juni 2012 ist der damals 16-Jährige nach 13 Stunden (13:27:58) ins Ziel gelaufen. Die letzten 30 Kilometer musste er richtig kämpfen ohne zu wissen, ob das Ziel noch erreichbar ist. Diese Erfahrung der eigenen Ausdauer, Willensstärke und Selbstmotivation helfen ihm auch ausserhalb des Sports, fast Unmögliches möglich zu machen. In der Abschlussarbeit von seiner Kochlehre „Laufszene Schweiz“ im Jahr 2015 (PDF) schreibt Hervé: „Welches Problem im Leben ist unlösbar, wenn man doch einen100-Kilometerlauf bestanden hat?“.
Im gleichen Jahr, nur drei Monate nach dem ersten 100er, bestritt Hervé den Jungfrau Marathon. Es war eine spontane Entscheidung. Eigentlich wollte er als Zuschauer an der Strecke seinen Götti anfeuern. Dann realisierte Hervé, dass es noch freie Plätze hat, denn anlässlich des 20-jährigen Jubiläums wurde der Jungfrau Marathon im Jahr 2012 doppelt ausgetragen, einmal am Samstag, einmal am Sonntag. Das Geld für den Startplatz hatte er zusammen, denn Ende August kassierte er seinen ersten Lehrlingslohn. Es gab aber ein anderes Problem. Für eine offizielle Teilnahme am Jungfrau Marathon war er zwei Jahre zu jung. Deshalb ging Hervé höchst persönlich bei der Anmeldung vorbei und überzeugte mit seiner Körpergrösse. Ein kleiner Schreibfehler bei der Jahrgangsangabe ermöglichte ihm, fast ohne verbal zu lügen, sich einen Startplatz zu ergattern. So lief er im Juni 2012 als 16-Jähriger seinen ersten Bieler Hunderter und drei Monate später als angeblich 18-Jähriger seinen ersten Jungfrau Marathon. Die 42.195 Kilometer und 1829 Höhemeter legte er damals in nur fünf Stunden (5:07.07) zurück.

Meine Frage, was ihn an Langstreckenläufen fasziniert ist schwierig zu beantworten. Vielleicht die Herausforderung? Oder den Ausgleich? Ich bekomme den Eindruck, dass Laufen ein integraler Bestandteil seines Lebens ist, der nicht begründet werden muss. Es gehört einfach dazu. Es ist die Vielfalt an Erlebnissen, die ihn reizt. Mal kurz und schnell, dann lang und ausdauernd. Hinzu kommt seine Vorliebe für das Spezielle wie zum Beispiel der Lauberhorn Run, bei dem man die Ski alpin Abfahrstrecke von 4.5 Kilometern um 1028 Höhenmeter hochrennt oder der Kristallmarathon im Bergwerk Merkers, wo man 500 Meter unter Tage läuft oder der Berliner 100 Meilen Mauerweglauf sowie der Knastmarathon in Darmstadt. Man hört es den speziellen und entfernteren Laufzielen an, dass bei Hervé auch die Zeiten des Lehrlingslohnes vorbei sind ;-). Zum Glück, denn es wäre jammerschade, wenn du, Hervé, deinen Laufenthusiasmus nicht ausleben könntest! Deine Begeisterung steckt an. Es ist mir eine Freude, mit dir zu trainieren. Alles Gute und bleib gesund.
Da kann ich nur noch “Chapeau” sagen. Sehr beeindruckend.
Hervé’s Adventures!! Impressive range and an inspiring report.
Schön geschriebener Bericht über dieses tolle Naturtalent.
Sau gut geschrieben!
Aber noch viel besser gelaufen!